Comeback eines Neuköllner Originals

Das Revitalisierungskonzept für die Karl-Marx-Straße 101 in Berlin-Neukölln collagiert Altes mit Neuem: Statt das seit über 50 Jahren hier verortete, heute wie aus der Zeit gefallen wirkende Kaufhaus mit Hochgarage abzureißen, wird es transformiert und für zeitgemäße Nutzungen erschlossen.  

Die Moderne brachte gesellschaftliche Veränderungen mit sich, auch Arbeitskontexte und die Organisation von (Zusammen-)Arbeit haben neue Formen angenommen, Rhythmen haben sich geändert. Konsequent nutzerorientiert gestaltete Bürolandschaften und Raumatmosphären, jenseits standardmäßig normierter Zellen- und Flurabmessungen, werden zunehmend als wichtige unternehmenskulturelle Dimension begriffen. Neue Generationen von ArbeitnehmerInnen, die sich als aktive Mitgestalter begreifen, wünschen sich ein Umfeld, das sie als abwechslungsreich erleben. Der Beruf als Berufung, als sinnstiftende Tätigkeit. Der Arbeitsplatz als Möglichkeitsraum. Ein Arbeitsalltag, der bereichernd ist statt Energie zu saugen, Balance. Ungewöhnliche und inspirierende professionelle Umgebungen sind gefragt. Um die richtigen MitarbeiterInnen, MitstreiterInnen und Talente anzusprechen, wird die Gestaltung ihrer Arbeitswelt für ArbeitgeberInnen zum immer größeren Wettbewerbskriterium.

In diesem Zusammenhang erlaubt die Revitalisierung von Bestandsarchitekturen völlig neue Perspektiven: Durch nutzerorientierte „Neuprogrammierungen“ können ursprüngliche, Charakter verleihende Spuren erkennbar bleiben und neue Flächen gestaltet werden, deren Raumprogramm oder Stil in einem Neubau niemals denk- oder planbar wären. Das Kaufhausgebäude in der Karl-Marx-Straße 101 ist beispielhaft für eine solche Entwicklung – hier entsteht eine Arbeitsumgebung, die die Herkunft des Gebäudes (mit sich anschließender Fahrspindel und Hochgarage) zitiert und dabei für neue NutzerInnen zugänglich macht, die umcodierte Settings als Bereicherung empfinden.

Viele großzügige Kauf- oder Parkhäuser, die vor 20 Jahren noch populäre Anziehungspunkte in den Innenstädten waren, wirken heute wie überholte Relikte und sind, trotz bester Lage, gänzlich verwaist. Noch verbliebene, doch zum Teil „schwerfällige“ Nutzungen werfen dann nicht selten einen Schatten auf ihre gesamte direkte Umgebung. Der Bedarf an innerstädtischen Flächen wächst weiter, doch ein Neuanfang für solche Architekturen, die auch in der Nachbarschaft als „Originale“ etabliert und emotional konnotiert sind, fällt oft nicht leicht und wirft städtebauliche und stadtgesellschaftliche Fragen auf. Durch den aktuellen Vorschlag zur Revitalisierung des alten Kaufhauses in der Karl-Marx-Straße wird eine „schwierige“ Immobilie zum Angebot für neue Arbeitsformen und eine ehemals etablierte Anlaufstelle im Kiez wieder zum Tummelplatz für Ortskundige und -interessierte.

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Sämtliche in diesem Beitrag gezeigten Bilder sind im Rahmen von REALACE Projekten und in Zusammenarbeit dem Fotografen Jonas Holthaus entstanden.