6 Empfehlungen für erfolgreiche Quartiere

Wenn wir Quartiere wie „Urbane Ökosysteme“ als lebendiges Beziehungsgeflecht neu denken und planen, werden sie zukunftsfähig.

Am Stadtrand wohnen und zum Arbeiten oder Einkaufen ins Zentrum – spätestens seit den pandemiebedingten Auswirkungen auf unsere Lebensweise gehört dieses Prinzip der Vergangenheit an. Die Beziehung sowie die Nutzung unserer nächsten Umgebung befindet sich in einer radikalen Veränderung und uns wurde unweigerlich aufgezeigt, die Zukunft unserer Städte liegt in den innerstädtischen oder ländlichen Quartieren. Denn trotz des zunehmenden Verschwindens alles dauerhaft „Stationären“ bleibt das „Lokale“ nach wie vor wichtig, jedoch – und hier gilt es bei der Entwicklung neuer, erfolgreicher Quartiere anzusetzen – zukünftig weniger als Raum, denn als Ausgangspunkt für neue Beziehungsnetze. Kurz: Städte sind eigentlich immer dann erfolgreich, wenn sie verschiedene Orte und verdichtete Quartiere entwickeln, die den unterschiedlichsten Austausch miteinander fördern.


The Power of Green – Grüne Mitten als Knotenpunkte für unsere Städte

Das Zusammenspiel von Urbanität und Gemeinschaft befindet sich momentan allerdings in einem Ungleichgewicht – und im Grunde ist auch der Berliner Mietendeckel nicht mehr als ein Ausdruck dieser gestörten Beziehungen innerhalb einer Stadtgesellschaft und Stadtökonomie. Die Verbindungen zwischen Wohnen und Wirtschaften, zwischen Anbieter* und Nutzer*innen funktionieren nicht mehr, denn hier wird gerade eine neue Verhältnismäßigkeit ausgefochten. Diese veränderten Beziehungen in der und zur Stadt sowie zu ihren Quartieren ist in ihrer Dynamik geradezu schwindelerregend und wird schlussendlich immer schneller auch unsere Städte verändern. Neue Beziehungsgeflechte entstehen, alte Nutzungen brechen weg. Die Frage nach der Stadt der Zukunft ist dadurch in erster Linie aber viel weniger eine nach räumlichen Strukturen als vielmehr nach den richtigen Beziehungsnetzen zwischen Bewohner*innen miteinander, Nutzer*innen zu Orten, Nutzungen untereinander, kulturellen Zusammenhängen und den Auswirkungen des Handelns auf die Umwelt.

Für eine zeitgemäße und nachhaltige Quartiersentwicklung brauchen wir einen Paradigmenwechsel sowie eine erweiterte Betrachtungs-und methodische Handlungsweise. Nur im Zusammenspiel aller relevanten Akteur*innen können strategische Prinzipien des Placemakings Realität und die Idee, Quartiere als „Urbane Ökosysteme“ zu denken, umgesetzt werden. Hier sind Politik und Verwaltung sowie Immobilienwirtschaft als Ermöglicher gefragt, die Weichen für zukunftsfähige Quartiere zu stellen.

In 6 Empfehlungen für erfolgreiche Quartiere fassen wir zusammen, worauf es in Zukunft ankommen wird, wobei die für den Menschen folgenden elementaren Fragen ein wesentlicher Bestandteil sind: Warum müssen wir noch arbeiten, wo wir arbeiten, leben wie wir leben und wieso wohnen wir dort, wo wir wohnen?

 

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1_Die gemeinsame Basis der Beziehung von Stakeholders

Das Ergebnis eines Planungs und Entwicklungsprojektes im Prozess ist immer auch ein Spiegelbild der Beziehung der Stakeholders untereinander. Die klassischen Methoden der Partizipationsprozesse sind gute Ansätze, greifen aber zu kurz. Es geht hier darum, grundsätzlicher zu verstehen, wie Stadt im Prozess der Akteur*innen entsteht und wie diese aktiviert werden können, um Stadtbausteine voranzubringen. Welche Investorenschaft will eine Stadtgemeinschaft? Welche Partner*innen können das Leben eines Quartiers prägen und erzeugen? Bestehende Akteursgeflechte sind zu hinterfragen, zu aktivieren und neu zu verknüpfen. Benötigt werden vor allem Analysen, Visionen, Dialoge und Berechtigungen, um zu agieren. Da alle Beziehungen durch Werte gesteuert werden, folgt daraus die Notwendigkeit einer Wertediskussion unter all diesen Akteur*innen eines Quartiers, sprich: Stadt und Quartiersentwicklung brauchen eine konsensfähige Projektphilosophie!

2_Denken in erfolgreichen Akteursgeflechten und Umweltbeziehungen

Quartiere werden zu Ökosystemen, wenn sich die einzelnen Beziehungen zu „Geflechten“ verdichten, sprich: Innerhalb eines räumlichen Bezugs kommt es zu Rückbeziehungen und stabilen, qualitativen Vernetzungen. Nur so können sich Synergien und Symbiosen entfalten und eines ist sicher: Urbane Ökosysteme funktionieren in komplexen, nicht hierachischen Dynamiken. Was wir lernen müssen, ist das Geflecht zu verstehen, es zu bilanzieren und zu gestalten. Eine nicht mehr überschaubare Anzahl von Akteur*innen und Einrichtungen interagiert, wird belebt und erfreut sich an gemeinsamen Stadtqualitäten. Eine gemeinsame Identität als Nachbarschaft oder Kiez kann entstehen und zur Kultur eines Ortes werden – in der Kombination seiner Elemente ist er einmalig. Es gilt also, dieses Geflecht von Umweltbeziehungen zu nähren, indem man Räume für dessen Entfaltung baut. Steigt man tiefer in die Materie Stadt ein, stellt man oft fest, dass der oberflächlich geordnete Schein trügt.

Die innere, urbane Natur der europäischen Stadt ist im Kern chaotisch und sollte es im besten Fall auch bleiben, denn nur so – solange die soziale, ökonomische und ökologische Bilanz stimmt – fördert sie Überraschung, Kreativität und Innovation. Diese eher unübersichtlichen und planlosen Strukturen bilden bedarfsorientierte Beziehungsnetze für den Erfolg der Stadt aus.

3_Konzentration auf strategische Schlüsselräume und die Schaffung neuer Knotenpunkte

Stadt funktioniert immer über die richtige Dichte – das ist oft, aber nicht immer, eine hohe. Wenn allerdings der Bedarf an einzelnen Nutzungen sinkt, gilt es, eventuell auch Einzelhandelsbereiche zu verkleinern und sie geschickt mit anderen Nutzungen zu verweben, um die schwächer werdenden Kräfte zu schützen. Ansätze wie die Verdichtung und die Schaffung multidimensionaler Knotenpunkte sowie die Konzentration und die Besetzung wichtiger strategischer Schlüsselräume, sind Hauptfaktoren, um Quartiere zu „Urbanen Ökosystemen“ zu machen. Quasi als urbane Produkte, die Menschen anziehen, aber Offenheit und Entwicklungsfähigkeit zulassen. Wichtige Räume und Ecksituationen in Stadträumen gilt es, richtig zu besetzen und dort, wo es an Dichte mangelt, muss eine anziehende Attraktivität kreiert werden. Auch neu entstandene und lange, verankerte Mobilitätsknoten innerhalb der Stadt müssen in dieser Diskussion berücksichtig werden. Wir sollten sie vom Nicht-Ort wieder zum Ort machen und als Treffpunkte und Erlebnisräume ausbauen. Je sauberer und leiser Mobilität wird, desto mehr Aufenthaltsqualität lässt sich damit verbinden. Hier gibt es noch den alten Treiber der Urbanität: Frequenz. Neue hybrid genutzte Zentren sollten impulsgebend werden – von Anfang an sorgfältig kuratiert und vernetzt.

4_Revival der Erdgeschosse: Verbindung des Öffentlichen und Privaten

Liegt einem Unternehmer etwas an seiner Stadt und zieht aus ihrDie Lücke, die das Schrumpfen des stationären Handels hinterlässt, kann voraussichtlich nicht gänzlich mit öffentlichen Funktionen geschlossen werden. Hierin liegt ein weiterer unvermeidbarer Aspekt: Wir brauchen ein neues Verständnis für die Funktion von Erdgeschossen als wesentlichem Raum zur Gestaltung eines Urbanen Ökosystems, denn in ihnen treffen viele wesentliche Grundfunktionen des Lebens aufeinander: Wohnen, Arbeiten, Bildung, Mobilität und Freizeit. Erdgeschosse sind die unmittelbare Verbindung des Öffentlichen mit Erfolgreiche Quartiere: Eine Mischung aus Entwicklungsfähigkeit sowie Offenheit für Menschen aller Generationen dem Privaten. Hier gilt es neue Akteur*innen – darunter auch Bildungseinrichtungen zu gewinnen – um die Stadt wieder mitzuformen. Schlussendlich profitieren sie selbst davon. Bildung läuft nicht mehr hinter Mauern ab, sondern Schule und Universität werden zum gesellschaftlichen Raum und Treffpunkt im Quartier. Aus der Bildungsmisere zur Vordenkerschaft für die Stadt! Hier eröffnen sich vielleicht auch neue Geschäftsmodelle für die Sanierung unserer Schulen. Öffentlichkeit und soziale Funktionen werden auch für Bürostandorte zukünftig immer wichtiger, da man sonst, wie wir größtenteils erfahren haben, auch zum Arbeiten zu Hause bleiben kann. Und sicherlich ist im Zuge dessen die Gastronomie weiterhin ein wünschenswerter Stabilisator.
Ohne eine geschickte Einbettung in den Quartieren können viele Geschäftsmodelle jedoch nicht mehr funktionieren. Im Zuge des Wandels künftiger Arbeitsumfelder und des Ansatzes „Nachbarschaften sind die neuen Büros“ besteht die Hoffnung, dass auch neue Modelle entstehen können.

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Erfolgreiche Quartiere: Eine Mischung aus Entwicklungsfähigkeit sowie Offenheit für Menschen aller Generationen
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5_The Power of Green

Wenn klassische Räume der Urbanität verkleinert werden müssen, um zu funktionieren, gilt es zu erkennen, wo neue Nutzungsbedarfe und Freizeitverhalten entstehen. „Hinaus ins Grüne“ bedeutet, dass unsere Parks, Grün- und Erholungsräume verstärkt als Treiber urbanen Lebens gestaltet werden sollten. Wenn wir schneller im Netz kaufen wollen, können grüne Räume an Bedeutung gewinnen, gesellschaftliches Leben zu gestalten. Angereichert mit Freizeitnutzungen und Möglichkeiten des kulturellen Austauschs können im Wandel unserer Arbeitsumfelder Büros im Grünen einen wesentlichen Mehrwert an Stadtqualität bieten. Park und Stadt sind oftmals hart getrennte Einheiten und hier sollte das Städtische durchlässiger werden und der Park mehr Nutzung aufnehmen – herausragende Beispiele gibt es viele wie der Bryant Park und die High Line in New York, aber auch den Park am Gleisdreieck oder das Tempelhofer Feld in Berlin. Im Zuge der Schädigung unserer Umwelt sollte sich das Bild der Stadt dementsprechend wandeln.

6_Urban Services als Management der Beziehungen

Jede Art von Beziehungen braucht Gestalter* und Moderator*innen, Magnete und Anlaufpunkte. Wie wir unsere Quartiere managen können, um ihre Qualität zu optimieren, bietet noch viel Potenzial, deshalb weg vom gedanklichen „Defizitmanagement“ hin zur Förderung und Unterstützung der Intelligenz von Stadt. Urbanität wandert in vielen Funktionen ins Netz, jedoch braucht es beispielsweise im Gewerbe neue Wege des Managements von Orten und auch kommunikative digitale Beteiligungsformate, die einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Städte können hier mit ihren öffentlichen Unternehmen für schwache, aber auch wichtige soziale, kulturelle und kreative Prozesse viel gestalten und neue Wege gehen. Standortgemeinschaften und Symbiosen sind für alle Seiten wichtig, um gemeinsame Vorgehensmodelle zu fördern und lebenswerte Einrichtungen zu schaffen und zu erhalten. Sie sind Basis unseres gesellschaftlichen Verständnisses und Ausgleichs.

Die Stadt der kurzen Wege – mobil, kulturell sowie sozial in ihren Strukturen
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Fazit
Es ist offensichtlich: Unsere Quartiere bedürfen eines Checks ihrer Beziehungsfähigkeit. Wenn wir sie nun als „Urbane Ökosysteme“ denken und konzipieren, was können wir gewinnen?

Zum einen den Wandel von der Konsumptionsund Funktionsstadt zur umweltfreundlichen und wirtschaftlich leistungsfähigen Stadt der kurzen Wege, kulturell wie sozial in ihren Strukturen und als ausgleichende Basis der Prosperität ihrer Akteur*innen. Zum anderen eine Chance für die sich entleerenden Erdgeschosse in der Stadt. Das Erdgeschoss wird der „connector“ zwischen öffentlich und privat – sprich: der Beziehungsmodulator. Arbeiten, Wohnen, Kultur, Bildung und Freizeit als Gemeinschaftsfunktion und als urbanes Element.

 

 



Bildmaterial: © REALACE


Die vollständige Version dieses Artikels, mit einer ausführlichen Einleitung zu unseren 6 Empfehlungen, stellen wir hier als PDF zur Verfügung: 

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