Wieder Stadt wagen: 11 Ansätze für das Revival der Erdgeschosse

Die Problematik des zunehmenden Leerstands von Erdgeschosszonen im städtischen Raum wächst. Ein Dilemma, denn sie sind die Brücke zwischen öffentlichem und privatem Raum und prägen maßgeblich den Charakter unserer Städte. REALACE zeigt auf, welche Neuorientierung und Architekturen es braucht, einer Verschärfung dieses Problems entgegenzuwirken.

War das Leitbild der Urbanität nach den 1970er Jahren noch maßgeblich geprägt vom Ideal der Nutzungsmischung und Zentralität – nahezu gleichbedeutend mit der funktionierenden Einkaufsstadt inklusive zentraler sozialer und kultureller Funktionen – begann fast zeitgleich das Aufkommen der Shoppingmalls und ausgeklügelter Handelssysteme am Stadtrand und im Versandhandel. Das schleichende Schwinden der urbanen Stadt, die mit Vielfältigkeit, Handel und Einrichtungen aufwarten konnte, nahm seinen Lauf.

Formende Kräfte anregen und Raum geben: Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Haltung und auch eine Verpflichtung an gesellschaftliche Teilhabe und Miteinander. Welche Kräfte unsere geliebte Urbanität und städtische Gemeinschaft aushebeln können und welche sie als Stadt der Zukunft formen, könnten die folgenden Faktoren aufschlüsseln: Dabei gilt zu unterscheiden, wie die Attraktivität für eine gewünschte Zielgruppe und auch breite Öffentlichkeit hergestellt wird und welche nachhaltigen Geschäftsmodelle integriert werden können. Und allgemeingültiger: Wo ist Stadt besser als andere Optionen? Wer sind ihre Konkurrenten? Und welche Akteure können Urbanität und Stadt voranbringen?

11 zentrale Ansätze, um Veränderungen entschlossen zu denken und realisierbar zu machen:

 

1_Wohnen und Arbeiten

Öffentliche Lobbies mit Cafe, Showrooms und halb-öffentlichen Begegnungsräumen sowie neue Gemeinschafts- und Wohnformen im Erdgeschoss sollten Berücksichtigung finden. Hybride Räume tragen zur Generierung von Urbanität bei. Mit dem Bewusstsein, dass eine attraktive, insgesamt sozial ausgeglichene Stadt eine erstrebenswerte Lebensgrundlage sein kann. Die selbstverständlichsten Nutzungen der Stadt, nämlich wie wir wohnen und wie wir arbeiten, müssen mehr an Ihrer Qualität teilhaben.

2_Die Hardware der Städte

Elemente wie Sport- und Gesundheitsstätten, Gastronomien, Showrooms, Veranstaltungsstätten aber auch Test-Labore und saubere Produktionsstätten gilt es, an die Stadt zu binden und im Sinne der Erdgeschosse gemeinschaftsfähig zu machen. Sie sind die Hardware, für die sich keine schnellere und effizientere Übersetzung durch Digitalität erfahren lässt. Idealerweise lässt sie sich in der Verbindung mit digitaler Anbindung verbessern. Dennoch müssen wir uns besinnen: Der menschliche Körper als Basis eines erfüllten Lebens ist hoffentlich wohl kaum digitalisierbar.

3_Neue Vernetzung

Orte der Wissenschaft und Bildung wie Universitäten und Schulen sind oftmals hermetische Einrichtungen. Sie sollten sich öffnen und in Räume der Begegnung verwandeln. Bildung und lebenslanges Lernen ist eine zentrale Gesellschaftsaufgabe geworden. Sie könnte spielerischer und generationsübergreifender begriffen werden. Auch das dezentrale Hinausstrahlen großer Bildungseinrichtungen wie beispielsweise Universitäten in das Stadtgeschehen bietet neue Möglichkeiten.

4_Lokale Akteure

Liegt einem Unternehmer etwas an seiner Stadt und zieht aus ihr einen Mehrwert, sollte er in seinem Engagement unterstützt werden, das Städtische zu fördern. Dies schafft sowohl lokale Identität als auch belebte Einrichtungen. Allgemein gilt es, den Bewohnern einer Stadt gezielt Räume zu eröffnen und diese zu beleben. Hier bedarf es einer Überbrückung der mittlerweile oftmals tiefen Gräben zwischen Investment und sozialer sowie kultureller Stadtentwicklung.

5_Neue Social Hubs

Social Media, Sharing und Mobilität gilt es als treibende Kräfte der Technologiewende zu erfassen und als Netzwerke in ihrer Auswirkung auf Urbanität besser zu verstehen. Sie stehen für neu entstandene urbane Synapsen, sorgen für den Austausch von Waren und Fahrzeugen. Neue Einrichtungen wie Mobility Hubs, Sharing Hubs oder Maker’s Hubs gilt es anzureichern und für neue Quellen urbanen Lebens zu nutzen.

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6_Superspaces

Sie sind hoch-attraktive Anker und anziehende Magneten in der Innenstadt, die sich aus den Bewegungen der Gamification, Culturization und Urbanisation speisen. Große Marken wie Tesla, Apple und Samsung beginnen bereits vielerorts Räume zu bauen, die die klassischen Nutzungen des Handels, der Kultur und Gesundheit verändern. Angesprochen wird hier der Flaneur 2.0. Er navigiert virtuell und flaniert im realen Leben auf der Highstreet, die eine Rückkehr zum Ort des Entdeckens, Testens und weniger des direkten Erwerbens anstreben sollte.

7_Place Management

Nicht alles dem Zufall überlassen. Die Entwicklung von belebten und interessanten Erdgeschossen und Urbanität sollte kuratiert werden. Bewährte Formen des Quartier- und Stadtmanagements gilt es zu fördern und Neues zu entwickeln. Generalmieter und Gewerbemanagement von größeren Erdgeschosszonen könnten im konzentrierten Auftritt mehr erreichen und Leerstand vermeiden. Indem Untermieter richtig angeordnet und vernetzt werden, entsteht eine gelungene Nutzungsmischung. Öffentliche Unternehmen wie Wohnungsunternehmen könnten urbane Services zur Förderung von Nachbarschaften implementieren, sofern es jeweils gelingt, funktionierende Geschäftsmodelle dahinter zu legen.

8_Neues Verständnis von Stadtlandschaften

Die Kraft des Unstädtischen im Städtischen: Anspruchsvolle und mit attraktiven Nutzungen durchzogene Grünräume anstatt Asphaltwüsten für ein neues Stadtmodell. Der Park als Raum des gemeinschaftlichen Erlebnisses und neuer Lebens- und auch Arbeitsqualitäten.

9_Mehr Dichte

Klassische Urbanität entsteht durch Dichte. Auf dieser Basis können herkömmliche Leitbilder der Nutzungsmischung funktionieren. Hier beginnt ein vertikales Verständnis von Stadt, indem die öffentlichen Erdgeschosse sich auf andere Ebenen hinaufziehen und eine Durchwegung ermöglichen – als Anschlüsse an die Stadt. Sie werden zur Schlüsselebene, denn an ihnen zeigt sich, ob eine positiv belebte Stadt möglich ist.

10_Spitzenklasse & Exklusivität

Das Netz ist vordringlich mittelmäßig, antielitär und breit. Extraklasse dagegen ist oftmals einmalig, ortsbezogen und physisch. Der Mensch strebt gerade in unserer heutigen Zeit nach Singularität, nach dem Besonderen, nach dem für ihn Einmaligen. Aus der Förderung von Spitzenklasse und Exklusivität kann paradoxerweise ein interessanter Impuls für die Stadt entstehen..

11_Identity Building

Städte benötigen neue grundsätzliche Denkweisen und visuell starke Leitbilder, um ein Verständnis von Urbanität und von einer Nutzung der Erdgeschossräume zu vermitteln. Es ist nun weniger die Konsumentenstadt gefragt, die Räume der Kultur, des Handelns, der Bildung und Wissenschaft bietet, sondern die Stadt als Kommunikator, der Akteure aktiviert und zusammenbringt. Um Orte der Gesellschaft und Gemeinschaft zu erfinden, bedarf es eines angeregten kommunikativen Prozesses mit sozialen Medien, lokaler Presse und besonders auch Visualisierungen neuer städtischer Räume.

Warum also „gebrauchte Orte“, sprich Erdgeschosse, deren ursprünglicher Zweck Vergangenheit ist, für Projektmacher attraktiv sein können, zeigen diese 11 Lösungsansätze. Neubauten stehen in den heutigen Zeiten nicht mehr allein als Sinnbild des Fortschritts. Reaktivierung bietet Identität. Es bedarf jedoch maßgeschneiderter Konzepte! Denn ob Kern- oder Randstadt, ob Groß- oder Kleinstadt – es liegen oft himmelweite Unterschiede dazwischen. Der Wandel der Gesellschaft und das Begreifen der Stadt als urbanes Ökosystem ist von einer Vielzahl Faktoren abhängig, hinter denen sich ebenso viele Möglichkeiten auftun, um Stadt zu verbessern.

 



Bildmaterial: © REALACE


Die vollständige Version dieses Artikels, mit einer ausführlichen Einleitung zu unseren 11 Ansätzen, stellen wir hier als PDF zur Verfügung: 

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